Eines nachts dann läuft die TARTARUGA tatsächlich aus dem Ruder und die Genua steht back (das große Segel vorne wird auf die andere Seite hinüber geblasen, weil sich das Boot durch den Wind gedreht hat). So kann sie weder vor noch zurück. Wir halten quasi an.
Das ist äußerst schlecht, wenn nicht gewollt, denn dann schlagen wir kurzfristig quer. Aber es bringt Ruhe ins Boot und Joachim kontrolliert den Autopiloten. Dazu muss er in seiner Kabine einen Teil der Rückwand abnehmen um ins Heck zu gelangen. (Das ist normal und auf allen Booten, die ich kenne, so.)
Und tatsächlich, der Hydraulikzylinder verliert Öl. Zudem dürfte eine Aufhängung gebrochen sein. Die Ruhe von Joachim möchte ich mal haben. Er konstruiert mit einem Stück Schlauch einen Nachfüllstutzen und spritzt mit einer größeren Arztspritze Öl in den Pumpenbehälter. Durch manuelles drehen des Ruders von einem Anschlag zum anderen wird der Zylinder entlüftet. Die Aufhängung kann warten.
Wir schiften das Vorsegel (bringen es auf die andere Seite, damit es wieder vom Wind gefüllt werden kann) und fahren weiter. Der Autopilot läuft wieder. Ein fürchterlicher Gedanke, die nächsten 2 Wochen durchgehend Ruder zu gehen. Hab zwar schon einiges dazu gelernt, aber das wäre jetzt echt richtig anstrengend.
Am nächsten Tag wird die Sache genauer inspiziert und Schadensermittlung und Begrenzung betrieben.
Der Ölverlust ist vorerst nicht so massiv und wir haben auch noch etwas Öl vorrätig, aber auch die Aufhängung muss repariert werden. Hier schlägt Joachim MacGyver wieder zu. Aus einfachsten Mitteln das richtige zusammenstellen und fixieren liegt ihm offenbar im Blut. Mit Hartholz und Seilklemmen wird die Bruchstelle „geschient“ und scheint stabil genug, um bis zur nächsten Schweißerei weiter zu funktionieren. Der Ölverlust wird täglich 2x kontrolliert und aufgefüllt. So weit so gut.

Wenige Tage später überfliegt uns wie erwartet eine Propellermaschine und kurz darauf kommt auch schon der Funkspruch herein: „TARTARUGA – this is the Australien bordercontrol aircraft 53 – can you hear me?“ Ich antworte und gebe bereitwillig Auskunft über Herkunft und Ziel, Call Sign und Besatzung und frage nach, ob wir aufgrund eines Defektes der Ruderanlage an einer der Inseln in der Torresstrasse anlegen dürfen. Die Antwort war sehr eindeutig. Entweder wir reisen ein, was nur aufgrund eines Notfalles so kurzfristig ohne Voranmeldung möglich wäre, oder wir haben strikt kein Land zu betreten und dürfen auch mit keinen Personen direkten Kontakt haben. Es darf uns auch nichts an Bord gebracht werden. Entweder – oder. Ich muss das dann auch noch wiederholen, um zu bestätigen, dass wir das auch alles verstanden haben. Letztlich dürfen wir jedoch ankern, um nötige Reparaturen durchführen zu können. Punktum.
Tags darauf sind wir kurz vor der Einfart ins Great Barrier Reef. Ich stehe am Steuerstand im Cockpit und blicke nach vorne um den Leuchtturm der Insel RAINE auszumachen. Am 6. September um 10:06 Uhr (LT Brisbane) sehe ich ihn steuerbord voraus und schreibe voller Freude „Land in Sicht“ ins Logbuch. Eine gute Stunde später passieren wir das kleine Inselchen mit dem massiven Leuchtturm darauf und befinden uns im Great Barrier Reef vor der Nordspitze Australiens.
Optisch sieht das Riff aus der Perspektive des Seglers nicht anders aus, als das offene Meer. Man braucht allerdings wirklich gutes Kartenmaterial, um das Boot durch die unzählicgen Untiefen sicher zu navigieren. Wir beschließen, auf Adolphus Island in der Black Wood Bay zu ankern um dem leider größer werdenden Ölverlust entgegen zu wirken. Am Samstag den 07.09.2019 um 09:15 Uhr werfen wir Anker.
@ Xaver und Leni: Wer findet die große Riesenschildkröte, die durch den Wald spaziert?
Der Hydraulikzylinder samt Elektropumpe wird ausgebaut und erst mal die Verstrebungen der Aufhängung verstärkt. Dann macht sich Joachim über den Zylinder her. Nach 2-maligem aus- und einbauen und neuerlichem Ölverlust überlegen wir unsere Optionen, um an eine Werkstatt zu kommen:
* In Australien einreisen
Dazu müssten wir so viele Dinge, die in Australien nicht erlaubt sind einzuführen (Lebensmittel u.ä.)
abgeben und das Boot „halb zerlegen“, weil die Behörden es heir sehr genau nehmen, dass das mal
keine gute Option ist.
* Etwa 250nm gegen den Wind nach Port Moresby in Papua Neuguinea zu segeln, um dort leichter
einzureisen, dafür aber in ein Land, das wir aus mehrerlei Gründen nicht besuchen wollten, scheint
auch nicht die Option der Stunde zu sein.
* Idee! Nur Joachim und der Hydraulikzylinder reisen ein und zwar mit dem Dingi. Also ich und die
TARTARUGA reisen nicht ein. Das wäre simpel.
Da es aber schon Mittag durch ist und morgen Sonntag ist, erreichen wir die Behörden erst Übermorgen wieder. Also warten wir.

Wir nutzen die Gelegenheit eines ruhig vor Anker liegenden Schiffes und ich mache mich übers Putzen, während Jochim sich in die „Backstube“ begibt und Brotteig anmacht.
Und wie man gelich auf dem ersten Bild erkennen kann, hat der Tollpatsch wieder zugeschlagen. Vor lauter Eifer wollte ich auch noch die ganz linke Schublade unter dem Spülbecken putzen. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte:
Am Abend sitzen wir dann bei einem Sundowner und überlegen so, und überlegen so, und …
und bauen die Hydraulikanlage noch einmal aus. Sundown.

Am Sonntag gibts erst mal Kaffee und KUCHEN! Joachim hat neben dem Brot (das übrigens hervorragend schmeckt) auch noch einen Kuchen gebacken. Dann wird der Zylinder nochmals zerlegt. Unter den Schlauchanschlüssen verbergen sich ähnlich wie Kolbenringe geführte Ringe in einer Nut, die den Zylinderdeckel fixieren. Wir ziehen sie über die Verschraubungsöffnung der Anschlußschläuche heraus und können endlich die Kolbenstangendichtung in Augenschein nehmen. Dann ein Augenaufschlag von Joachim, als er die O-Ringe betrachtet. Natürlich hat er welche an Bord, baut sie ein und wieder alles zusammen. DICHT! Also „Tschüß Australien!“
Im Morgengrauen lichten wir den Anker, setzen Segel und fahren in die Torresstraße ein. Hier herrscht auffällig wenig Schiffsverkehr, was uns aber nur entgegen kommt. Da wir die Strömung der Tide im Rücken haben, kommen wir trotz moderater Winde gut voran. Man braucht aber auch hier gutes Kartenmaterial denn zwischen den kleinen Inseln verbergen sich Untiefen und Sandbänke. Dann haben wir für ein paar Minuten auch noch Internetzugang und aktualisieren unsere Wetterdaten und senden noch Grüße nach Hause.
Nach der Torres Straße verlassen wir den Pazifik und fahren in die schon zum Indischen Ozean gehörige ARAFURA SEE ein. Die Arafurasee liegt zwischen Australien und Neuguinea und reicht etwa bis hinter Darwin. Das Besondere daran ist, dass sie nur etwa 40 – 60 m tief ist, was uns eine kurze und steile Welle beschert. Aber noch haben wir moderaten Wind und so gleiten wir ruhig in die Nacht hinein. Unser neuer Kurs ist 270 WEST. So fahren wir stets dem Sonnenuntergang entgegen. Sundown.
