Raus aus dem Hafenbecken nehmen wir zunächst Kurs NW, schwenken dann aber bald auf Nord, denn der Schelf (der Landsockel) vor Brasilien ist etwa 50km breit und das Wasser hier nur etwa 25m tief. Kurze Welle, gar nicht schön. Erst im tiefen Wasser fahren wir wieder NW.
Das gewohnte Bootsleben hat uns wieder. Naja, nicht ganz so das gewohnte, sind wir doch nun nur mehr zu zweit. Mir machts nichts aus, bin ich doch zuletzt 4.500nm nur zu zweit gesegelt. Die Wache machen wir nun so, dass ich gegen 01:00 Uhr übernehme und Reiner dann, wenn er morgens wieder aufsteht. Ich stelle mir den Wecker während der Wache auf alle ½ Stunden, falls ich mal einschlafe, was ausgesprochen selten, aber doch passiert. Das funktioniert ganz gut so. Zudem kann ich jetzt den Sonnenuntergang voraus und den Sonnenaufgang an Achtern genießen. 😊 Sonnenaufgang sieht dann so aus:

Offen ist noch, wie das mit dem Kochen funktionieren wird; glutenfrei und ohne Milch. Aber ich lasse die Herausforderung einfach mal auf mich zukommen. Schlimmstenfalls müssen wir uns halt von Reis und Nudeln (gibt’s auch glutenfrei) ernähren. 😉 1.000nm bis Cayenne in Französisch Guyana sollten wir in weniger als 2 Wochen schaffen. So schnell verhungert man schon nicht. Das mein Leben als Schiffskoch aber noch viele Wochen weiter dauern würde, war uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.
Meine Seele verfällt schnell wieder in den „Überfahrtmodus“. Das Knacken in den Schoten auf den Winschen, das Pfeifen des Windes in den Fallen, das Singen des Hydraulikpumpenmotors, die gewohnten Schiffsgeräusche sind wieder da. Ja sogar den Kompressor von der Kühlbox kann ich hören, wenn SHAMBALA II ihre Rümpfe durch die See schiebt. Seevögel, die uns umkreisen und sich an Deck verewigen, fliegende Fische, die es sogar durch das kleine Seitenluk in Reiners Kabine schaffen, die endlose Weite des Horizontes und die großen Sternbilder am Nachthimmel. All das macht für mich den Mythos einer großen Überfahrt aus und lässt meine Seele baumeln; einfach schön!
Schon 2 Tage später, am 30. März 2020 um 06:42 Uhr Lokalzeit, durchsegeln wir ein kleines Highlight unserer Reise. WIR ÜBERQUEREN DEN ÄQUATOR bei 41 Grad West. Nun sind wir im Nordatlantik angekommen.

Bald wird uns klar, dass aufgrund der Reiserestriktionen auch Französisch Guyana nur ein Umweg und nicht das Ziel sein kann, also nehmen wir direkten Kurs auf die Karibik, irgendwo in der Gegend von St. Lucia oder Martinique; 700nm mehr, ein Katzensprung. Reiner kennt sich da gut aus, ist er doch schon viele Jahre mit SHAMBALA (dem Vorgängerschiff) durch die Karibik gesegelt.
Wir machen wieder alle möglichen Arbeiten am Schiff, neben Waschen, Putzen, Staubsaugen, Toiletten reinigen, Lebensmittel Inventur und was halt so zum Führen eines Haushaltes gehört. Gut, dass ich bei Mama im Unterreicht gut aufgepasst habe. 😊
Und beim Kochen fange ich gleich mal mit einem Hühnchen an. Was soll da schon schief gehen? Wegfliegen kann es ja nicht mehr. Also auftauen, reinigen, abtupfen, würzen, Gemüse, Kartoffeln und viel Zwiebel in die Tropftasse schneiden und rein damit in den Ofen. Reis und Salat dazu und fertig. Und es hat richtig gut geschmeckt.
Das motiviert zu neuem und bald schon sind variierende Gemüsepfanne und mal so-, mal so-Salat unsere Standardbeilagen nebst Röstkartoffeln und Quinoa. Reiner ist unser Salatmeister. Er mariniert und verfeinert noch mit Kapern, Oliven oder Petersilie. Es gibt außerdem Rindfleisch (wird erst in Gemüsesuppe gekocht und dann noch schön angebraten oder auch mal als Steak herausgebraten) und mal gibt’s ein Stück Lamm oder Pute und FISCH. Ein kleiner aber schöner Wahoo ist uns an den Haken gegangen, gleich filetiert, portioniert und ab in die Kühlbox. Die nächsten 3 Tage gibt es Fisch. Lecker, lecker!
Danach haben wir leider nur noch Seegras gefangen, das bis zu den karibischen Inseln auf der Wasseroberfläche schwamm. Manchmal nur in kleinen Mengen, manchmal aber auch in riesigen Seegrasgürteln, dass wir sogar die Ruder hochklappen mussten, um das Zeug wieder los zu werden. Woher auch immer es gekommen ist, mit dem Fischen wars vorbei.
Kurz vor Martinique hatte ich dann noch mal ein Erlebnis der besonderen Art. Ein tiefgefrorenes Hühnchen hat mich während des Auftauprozesses mit der Geflügelschere attackiert und mir selbige in die linke Hand gerammt. Eine ziemlich tiefe Wunde, die mich einige Tage doch etwas behindert hat. Aber den nächsten Angriff konnte ich erfolgreich abwehren und das gerupfte Federvieh landete wie seine Vorgängerin im Backofen.
Es ist eine schöne Beschäftigung mit den Regenwolken zu spielen. Du versuchst an sie heranzufahren, bis der Wind plötzlich richtig kräftig wird (30kts und mehr). Dann heißt es vorsichtig durchsteuern, die Geschwindigkeit (an die 15kts) ein wenig genießen, das Regenwasser in den Tanks zu sammeln und dabei den Kurs nicht ganz außer Acht zu lassen. Doch viel zu schnell vergeht der Spaß und der Windmesser neigt sich genau so schnell wie er nach oben geschnellt ist auch wieder nach unten.
Regenwolke am Radar und wir mitten drin 🙂
Was nun immer nerviger wurde, waren die Ausfälle des Autopiloten. Text im Display: „Keine Ruderrückmeldung“, ein kurzer Pfeifton und dann schaltet sich der Autopilot einfach aus. Wenn du da nicht auf der Hut bist, läufst du gaaaanz schnell aus dem Ruder, mit allen Folgen, die dazu gehören.
Den genauen Grund dafür wissen wir bis heute nicht, da er sich nicht eruieren lies. Der Ruderlagengeber (Danke allen für den Tipp an dieser Stelle!) wars jedenfalls nicht, da wir die Anzeige der Ruderlage immer auf dem Datenbus und natürlich auch auf dem Bildschirm hatten. Der Fehler fällt wohl in die Kategorie „gibt’s gar nicht, sollte nicht vorkommen, ist irgendwie komisch“. Jedenfalls konnte kaum noch Ruderdruck aufgebaut werden, was also einen ausgewogenen Segeldruckpunkt (das passende Reff zur Segelstellung) erforderlich machte. Durch den Austausch des Antriebsmotors kam dann auch noch Luft ins System, was man auch unschwer am Zischen in der Pumpe überhören konnte. Theoretisch hätte die Ruderanlage jeden Moment gänzlich ausfallen können, was uns dazu verleitete frühzeitig über den Aufbau und die Machart eines Notruders nachzudenken. Dazu ist festzuhalten, dass unser gedachtes Notruder im Endausbau schon einer neuen halbautomatischen Ruderanlage gleich gekommen wäre; Tüftler unter sich!
Was dann aber passierte war noch viel seltsamer. Als wir mal wieder einen Ausfall hatten, SHAMBALA II durch den Wind ging und Reiner per Handsteuerung übernehmen wollte, drehte sich das Steuerrad leer durch und es spritzt Hydrauliköl aus dem Nachfüllbehälter über das Steuerpult. Wir staunen mal kurz Bauklötze, sehen uns fragend an und schalten dann wieder auf Autopilot zurück, was auch funktioniert. „Bahnhof!“ Offenbar ein defektes Rückschlagventil, so zumindest unsere Ansicht. Damit aber noch nicht genug, ist es nun auch noch mit der Fernbedienung des Autopiloten vorbei. Nein, nicht die Batterie ist alle, er findet bei Knopfdruck an der Fernbedienung kein Bediengerät und – richtig geraten – schaltet ab. „Einen Reset machen?“ Danke, auch dieser Tipp kommt zu spät, den haben wir mehr als 1x gemacht. Blieb alles erfolglos.

SHAMBALA II aber zog unbeirrt ihre Bahn durch den Atlantik und so vergehen die Tage und Nächte bis wir am 7. April gegen Mittag etwa 40 Meilen vor BARBADOS Besuch von einem 6-köpfigen karibischen Begrüßungskomitee erhalten.

Während der Nacht segeln wir an Barbados vorbei und können die Lichter der Insel von weitem gut ausmachen. Und gegen Mittag sehen wir zuerst die Silhouette von ST. LUCIA und kurz darauf jene von MARTINIQUE. Angekommen!
52 Tage und 5.500nm (ca. 10.000km) liegen seit unserem Aufbruch in Kapstadt hinter uns. Seit ein paar Tagen bin ich schon ein bisschen wehmütig, weil die Reise nun wieder vorbei ist, unser Abenteuer, den Südatlantik zu überqueren, abgeschlossen war. Aber vorbei war es noch lange nicht. Wir wussten es nur noch nicht.
Sundown
