17. September 2019, 12:00 Uhr genau.
Ich stehe am Steuerstand und blicke erwartungsvoll nach vorne. Es müsste doch eigentlich schon zu sehen sein. Es ist zwar ein bißchen diesig aber – und dann sehe ich sie, die Konturen der Insel Timor, die sich am Horizont abzeichnen. Keine Fata Morgana und keine Wolkenschleier; es ist Indonesien! LAND IN SICHT!

Es dauert noch fast 12 Stunden, bis wir dann gegen 23:30 Uhr den Anker in der Bucht von Kupang fallen lassen. 21 Tage und 2.600 Seemeilen nachdem wir in Poum auf Neukaledonien gestartet waren.
Und soviel sei voraus geschickt, Wind und Wetter haben es gut mit uns gemeint und uns Etmale von durchschnittlich 135nm beschert. Aber alles der Reihe nach:
Bevor wir in Poum gestartet sind, haben wir nochmal Diesel und Wasser gefasst. In Kanistern natürlich, denn Bootstankstelle gibt es dort keine. Die Tankstelle ist auch gleichzeitig Supermarkt und Schuhgeschäft. Wir haben noch ein paar Dosenfrüchte und etwas Brot gekauft, aber die Kassiererin interessierte sich wenig für uns, da waren die aktuellen Insel-Charts einfach wichtiger.
Nur 100m weiter gibt es noch einen kleinen Laden, dessen Angebot allerdings auch noch etwas reduzierter ist. Auch dort waren keine frischen Füchte zu bekommen.
Ach ja, die Sache mit dem Umweltschutz hat sich hier noch nicht so richtig herumgesprochen, wie ihr unschwer auf dem einen Bild erkennen könnt. Ich hoffe aber, dass wir mit unserer ständigen Ablehnung von Plastiksackerln an den Kassen zumindest einen kleinen Anstoß geben.
Mittwoch 28.08.2019 um 06:30 lichten wir den Anker und machen uns auf nach Indonesien; etwa 2600 Seemeilen bzw. 4.800 km weiter.
Wir fahren noch an ein paar Inseln vorbei, die Daniel Defoe zu seinen Abenteuern von Robinson Crusoe inspiriert haben könnten, bevor wir durch die Riffpassage endgültig auf die offene See steuern auf Vorwindkurs gehen und den Spinnaker setzen.
Und so beginnen sich auch die Tage und Nächte auf See im Rhytmus der Wachablöse zu drehen. Die Vormittagswache verbringen wir meist gemeinsam und Frühstücken zusammen, nachdem Joachim über Kurzwelle die aktuellen Wetterdaten mit Windstärke und Richtung für die nächsten 2-3 Tage abgerufen hat und die eine oder andere Nachricht nach Zuhause absetzt oder empfangen hat.
Dabei stört die Elektropumpe für den Hydraulikzylinder des Autopiloten die Sendeantenne, weshalb wir während der Übertragung „Ruder gehen“ (heißt: von Hand steuern und selber am Ruder stehen).
Und wer nun dachte, schon mal ein Schiff gesteuert zu haben und dass das doch gar nicht so schwer war, der möge das noch einmal auf offener See bei entsprechender Welle versuchen. Dass wir hier nicht auf einer Straße mit festem Untergrund sind, wo die Vorderachse sehr exakt macht, was die Lenkung ihr mitteilt, sei dabei nur am Rande erwähnt. Wir bewegen hier über 10t Gewicht durch das Wasser und die Trägheit der Masse in Bewegung kommt hier anders zu tragen.
Ich stelle mich jedenfalls an, wie eine absolute Landratte und drehe das Steuer von Anschlag zu Anschlag ohne wirklich damit klar zu kommen, weshalb ich auch gleich meine erste Lehrstunde in Sachen „Ruder gehen“ erhalte. Gleiches Boot, gleiche Bedingungen, gleicher Kurs und dort wo ich eine ganze Umdrehung des Steuerrades oder mehr benötige, benötigt Joachim nur eine Viertelumdrehung und ab und wann mal eine halbe. In aller Regel bewegt er das Ruder nur von 3/4 bis 1/4 nach.
So beginne ich also in der Grundstufe und versuche mich täglich etwas zu steigern. Und immer dann kommt der Skipper mit neuen Ideen wie: „Fahr mal nach Windanzeiger, fahr mal nach Kompass, halt dich nicht ständig wo fest, du spürst das Schiff sondst nicht, fahr mal ohne Horizont, was machst du in der Nacht?“ Und so lerne ich täglich ein klein wenig mehr, um im Fall der Fälle auch wirklich Ruder gehen zu können.
Der Gedanke daran stundenlang, tagelang, wochenlang hochkonzentriert am Ruder zu stehen, ist allerdings alles andere als verlockend.
Den Nachmittag teilen wir uns dann mit abwechselnd etwas schalfen und am Abend wird auch wieder gemeinsam zu Abend gegessen. Danach gehe ich ins Bett und übernehme wieder um 00:00 Uhr.
Dazwischen gibt es so allerlei Arbeiten, wie zum Beispiel das Stellen der Solarmodule zur Sonne und die Überwachung des Energiemanagements von Bordbatterie und Starterbatterien. Wie in jedem anderen Haushalt muss auch auf der TARTARUGA geputzt, gekocht, abgewaschen und mal Staub gesaugt und gewischt werden. Wäsche wird gewaschen und der Speiseplan besprochen. Dabei kommt es natürlich vorrangig darauf an, was an Frischware noch da ist und verspeist oder verarbeitet und in den Kühlschrank kommen muss.
Joachim ist jedenfalls der Koch und ich bin der Gemüseschnipsler, Früchteaufbereiter (nach Anleitung) und Abwäscher. So hat jeder seine Aufgaben, neben der Schiffsführung.
Und es hat seinen Grund, warum Joachim kocht, denn wir leben hier ziemlich gesund. Und nicht nur was die Wahl der Speisen, sondern auch jene der Gewürze anbelangt. Aber Joachim nimmt Rücksicht auf mich und es ist nicht immer alles scharf bzw. würzt er sein Essen erst auf dem teller nach. DANKE!
Fischen? Ja, haben wir mal probiert und auch tatsächlich einen schönen, großen MAHI MAHI (eine Goldmakrele) am Haken gehabt. Der hat sich auch gezeigt und ist gesprungen. Aber außer einem abgerissenen Köder ist uns leider nicht viel davon geblieben. Zudem sind wir bei der Gelegenheit drauf gekommen, dass wir auch noch gar keinen Platz im Kühlschrank gehabt hätten. Also fischen wieder eingestellt und auf ein anderes mal verlagert. Allen, die jetzt ein wenig Mitleid mit uns hatten, sei ein „Petri Dank!“ gesagt.
Die Segel werden je nach Wind gestellt, geschiftet oder getauscht und ab und zu gehts auch so richtig pfiffig dahin. Wie ihr auf dem Bild (das ist der Kartenplotter, unser Steuerbildschirm) erkennen könnt, haben wir hier kurz nach Neukaledonien zwar einen etwas hohen Kurs, der passt aber besser zu Wind und Welle. Und da für die Tage darauf NO angesagt ist, passt das dann wieder.

Der schwarze Punkt ist das Boot. Von ihm gehen 4 farbige Linen aus:
* Gelb zeigt uns die Windrichtung
* Rot ist die Mitschiffslinie, also die Richtung in die die Bootsmitte zeigt oder sehr vereinfacht der
magnetische Kurs ohne Deviation und Mißweisung, den wir steuern
* Blau ist die Abdrift durch Wind und Strömungen
* Grün ist die tatsächliche Kurslinie über Grund (der Kartenkurs), die sich daraus ergibt.
Also die Linie, wo wir tatsächlich hin fahren.
Zudem sieht man die Stärke des tasächlichen Windes und jene des scheinbaren Windes (des Windes in den Segeln) mit ihren Richtungen zur Schiffsachse. Man sieht unser Ziel mit Entfernung und vorassichtlicher verbleibender Fahrzeit bei den aktuellen Bedingungen, und unten noch unsere Geschwindigkeit durchs Wasser und die zurück gelegten Meilen sowie die Abweichung zum Zielkurs, das XTE.
Also unterm Strich, eine Menge Daten, die für uns aber schon sehr relevant sind, um das Schiff zu steuern und richtig zu takeln (die richtigen Segel zu setzen).
Den Kurs selber hält der Autopilot. Der bewegt das Ruder direkt an der Pinne über einen Hydraulikzylinder und das Steuerrad bewegt sich wie von Geisterhand mit.
An dieser Stelle sei mir erlaubt, meinen Freund und Wegbegleiter Ingo (er hat mich vor Jahren zum Segeln verleitet, wofür ich ihm immer dankbar sein werde) zu zitieren: „Wenn eines fix ist, dann das, dass ein Schiff, das von alleine läuft, ganz sicher aus dem Ruder läuft.
Die 10 Knoten Geschwindigkeit auf dem Bild sind allerdings nicht unsere Normalgeschwindigkeit. Die beträgt im Durchschnitt etwas mehr als 5 Knoten und bei guten Bedingungen 7 Knoten. Alles darüber ist auf Dauer zu schnell und geht auf die Belastung von Boot und Takelage. Da muss Tuch raus und Speed runter.
Bei 5 – 7 Knoten Fahrt gibts zudem Geräusche und Bewegungen im Boot, an die man sich erst gewöhnen muss. Wenn eine Welle unter dem Boot durchläuft, schlägt sie auf die Brücke (das ist der flache Verbindungsteil zwischen den Rümpfen, auf dem der Salon ist) und läßt es richtig donnern; und zwar akustisch wie mechanisch. Wenn wir dann noch ein bißchen schräg zur Welle sind entsprechend mehr und lauter. Durch die „elastische“ Verbindung der Rümpfe spürt man das auch in den Schiffsbewegungen. Man könnte das dann damit vergleichen, wie wenn man mit einem schlecht gefederten Auto über eine Schotterstrasse mit vielen Schlaglöchern fährt. Und dann beginnen tatsächlich die Möbel zu hüpfen. Im Ernst, da springt dann alles im Boot ein bißchen herum. Donner, Bewegung, Hüpfen, das musst du erst gewöhnen, aber Joachims Ruhe dabei färbt ab und bald ist es so wie es ist.
Weiter gehts dann im nächsten Bericht. Jetzt muss ich erst mal weg. Sundown.
